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Unterwasserlabor Helgoland - Deutschlands Forschungsstation am Meeresgrund

Autorenbild:  Steven Blum Steven Blum

Aktualisiert: vor 2 Tagen

Helgoland. Es fällt schwer, sich auf den ersten Blick in die einzige deutsche Hochseeinsel zu verlieben. Ein Besuch der exponierten Felseninsel vermittelt eine Fülle unterschiedlichster Eindrücke. Zunächst wirkt sie mit ihren steilen Klippen, kargen Felsen und dem rauen Klima abweisend. Schon die Überfahrt zu den markanten roten Sandsteinfelsen, die wie mächtige Wächter aus dem Meer ragen, ist ein besonderes Erlebnis, geprägt von der unberechenbaren Natur der offenen Nordsee. Denn nach Helgoland führt kein leichter Weg - weder für Einwohner noch für Besucher. Bereits beim Verlassen des Festlands werden die Kräfte der Elemente spürbar, während das Schiff durch die aufgewühlten Wellen pflügt. Der Wind peitscht über das Deck und das Salz der Gischt liegt in der Luft. Zeitweise, wenn weder die Küste noch die Felsinsel zu sehen sind, könnte man den Eindruck gewinnen, sich „einsam mitten auf dem Meer“ zu befinden. Raues Wetter ist hier keine Seltenheit. Oft türmen die Wellen sich bedrohlich auf und dichte Wolken verdunkeln den Horizont. Doch gerade diese unwirtlichen Bedingungen machen die Ankunft auf der entlegenen Insel umso faszinierender. Wenn am Horizont die Insel auftaucht, sind es noch einige Seemeilen bei starkem Wind und hohen Wellen. Genau hier begann in den 1960er Jahren ein einzigartiges deutsches Experiment, bei dem Wissenschaftler auf dem Grund der Nordsee ein „Haus im Meer“ errichteten, in dem sie wochenlang unter Wasser leben und arbeiten konnten.


In einer Zeit, in der sich Meeresforscher zunehmend mit den Möglichkeiten der Tiefseeerforschung beschäftigten, markierte der Bau des Unterwasserlabors HELGOLAND einen bedeutenden Fortschritt. Es war das erste Unterwasserhaus, das speziell für den Einsatz in stürmischer See konzipiert wurde. „Bisher ließen sich Tieftauch-Pioniere nieder wo Millionäre baden“, schrieb DER SPIEGEL in seiner Ausgabe 21/1968, „in den nachtblau umspülten Korallengärten der Riviera, im Roten Meer, vor den Bermudas und Bahamas. Deutsche Forscher wollen nun in ein nordisch kühles, trübes, herb bewegtes Gewässer hinabtauchen: in die Nordsee.“ Entwickelt wurde das UWL HELGOLAND, um den extremen Bedingungen auf offener See standzuhalten - Bedingungen, die von tosenden Wellen, starken Strömungen und sich ständig ändernden Druckverhältnissen durch die Gezeiten geprägt sind. Es wurde von Mitarbeitern des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt geplant, im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft von der Drägerwerk AG in Lübeck konstruiert und gebaut und von der Biologischen Anstalt Helgoland betrieben. Die Ingenieure und Wissenschaftler schufen einen futuristischen Lebensraum, der wie aus einem Science-Fiction-Film anmutet. Gemeinsam entwickelten sie ein Design, das nicht nur robust, sondern auch funktional war. Herzstück war ein druckfester Laborkörper, der so konstruiert war, dass er den gewaltigen Kräften des Meeres trotzen konnte. Die Struktur war rundum verstärkt, um den Belastungen der rauen See standzuhalten, und mit speziellen Ballasttanks versehen, um das Haus fest auf dem Meeresgrund verankern zu können. Auch das Innere wurde sorgfältig geplant, um den Aquanauten genannten Bewohnern Sicherheit und Komfort bieten zu können - selbst wenn die See über ihnen toste.



UWL Helgoland

Ersteinsatz des UWL HELGOLAND (1969)



Neben der komfortablen Ausstattung für den Langzeitaufenthalt der Aquanauten am Meeresboden war das Besondere des UWL HELGOLAND-Systems auch die einzigartige, innovative Lösung zur Energie- und Atemgasversorgung. Eine speziell entwickelte Versorgungstonne versorgte von der Wasseroberfläche aus über nabelschnurartige Schlauch- und Kabelverbindungen das Unterwasserlabor mit den lebensnotwendigen Atemgasen und elektrischer Energie. Dadurch war sichergestellt, dass die Versorgung auch in rauer See und unter schwierigen Bedingungen zuverlässig funktionierte.  Im Gegensatz zu anderen Unterwasserstationen dieser Zeit war das Unterwasserlabor damit unabhängig und konnte ohne direkte Landverbindung oder ein Oberflächenversorgungsschiff arbeiten.



Eine Versorgungstonne versorgte das UWL mit Energie von der Wasseroberfläche



Ein gleichwertig ausgestattetes System gab es weltweit nicht. Ich wollte mehr über die Technik und die Einsätze des Unterwasserlabors erfahren und machte mich auf Spurensuche. Über Herausforderungen und Erlebnisse während des Ersteinsatzes sprach ich unter anderem mit dem Aquanauten Peter Jatzke, dem Tauchmediziner Anthony Low und dem Unterstützungstaucher Wolfgang Hoppe.



Eine Gruppe Sporttaucher aus Köln-Porz war dem Aufruf der DFVLR gefolgt und unterstützte das UWL-Projekt als Hilfstaucher

Eine Gruppe Sporttaucher aus Köln-Porz war dem Aufruf der DFVLR gefolgt und unterstützte das UWL-Projekt als Hilfstaucher (Foto links). Steven Blum zu Gast bei Wolfgang Hoppe, der dieser Gruppe angehörte (Foto rechts).



Zehn Jahre diente das Haus am Meeresgrund als Basis für die Durchführung meeresbiologischer, medizinischer und industrieller Forschungsprogramme. Erst für Biologischen Anstalt Helgoland, später für die Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schifffahrt (GKSS) in Geesthacht bei Hamburg, einem Forschungszentrum in dem Alternativen zu herkömmlichen Energieträgern für die zivile Schifffahrt erforscht wurden. Einsatzorte des UWL waren die Nordsee (1969, 1973) und die Ostsee (1972, 1974, 1975, 1976 und 1979). Im Jahre 1975 wurde es sogar von der für die Überwachung und Erforschung der Ozeane zuständige US-amerikanischen Regierungsbehörde National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) für die Durchführung eines Forschungsauftrags nach Boston geholt und vor der Küste Neuenglands eingesetzt. Dort überstanden das Unterwasserlabor und die Versorgungstonne die Ausläufer eines Hurrikans. Über die Betriebsführung und die Einsätze sprach ich mit dem langjährigen Einsatzleiter Günter Luther, dem Logistiker Ulf Göttsche und dem GKSS Cheftaucher Hans Belau.



Hans Belau und Günter Luther

Zu Gast bei Cheftaucher Hans Belau (links) und Einsatzleiter Günter Luther (rechts) in Geesthacht



Auch konnte ich den Dokumentarfilmer Walter Sigl und den norwegischen Meeresbiologen Bjorn Gulliksen interviewen, die in den 1970er Jahren mehrere Wochen in dem Unterwasserlabor gelebt und geforscht hatten.


Anfang der 1980er Jahre wurde das UWL stillgelegt und hat nun im NAUTINEUM des Deutschen Meereskundemuseums auf der kleinen Insel Dänholm bei Stralsund seine letzte Ruhestätte gefunden.



Mit dem Kurator für Maritimes Kulturgut der Stiftung Deutsches Meeresmuseum und Leiter des NAUTINEUMs, Dr. Thomas Förster, vor dem UWL HELGOLAND



Im Inneren des UWL HELGOLAND



Die Geschichten habe ich in dem Buch „Unterwasserlabor HELGOLAND – Deutschlands Forschungsstation am Meeresgrund“ festgehalten.

 

Unterwasserlabor Helgoland von Steven Blum

Seiten: 232

ISBN: 978-3-00-080102-0



UWL HELGOLAND von Steven Blum

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