Zur Geschichte der Torpedoversuchsanstalt Tollensesee
Wieder einmal trafen sich im September knapp ein Dutzend Taucher unseres Klubs am Tollensesee bei Neubrandenburg um die am nördlichen Ende des Sees liegenden Überreste der alten Torpedoversuchsanstalt (TVA) zu erkunden. Vier mal musste unser Schlauchboot auslaufen und die zwanzigminütige Fahrt auf sich nehmen, damit alle Taucher ins Wasser kamen.
Kaum hatten unsere „Kapitäne“ Bernd und Manne das Boot an den Trümmerresten festgemacht, hieß es Rolle rückwärts und abtauchen. Sogleich fanden wir uns im diffusen Grün des Sees zwischen verbogenem Stahl, zerborstenem Holz und einem Gewirr aus Rohren und Kabeln. Nur selten treffen Historie und Wirklichkeit so nah aneinander wie hier.
Im Jahre 1939 entschloss sich das Oberkommando der deutschen Marine in Kiel ihrer Marineversuchsanstalt Eckernförde eine neue Außenstelle hinzuzufügen. Grund dafür waren Probleme der deutschen U-Bootflotte mit Ihren Torpedos. Für eine Ursachenforschung waren in Eckernförde keine Möglichkeiten und die TVA Gotenhafen (heute Polen) war mittlerweile an die Luftwaffe übergeben worden, so dass auch dort keine Kapazitäten mehr zur Verfügung standen. Auf der Suche nach geeigneten Standorten stieß man auf den Tollensesee in Neubrandenburg. Dieser bot mit seiner Ausdehnung und Lage ideale Bedingungen.
Im Herbst des Jahres 1941 begann man im See mit der Errichtung einer künstlichen Insel in Spundbauweise, die mit einem Damm und einer Brücke mit den gleichzeitig zu erreichenden Anlagen am Ufer verbunden wurde. Darauf wurde dann 1942 das Kernstück der Anlage, die mehrstöckige Kommandozentrale, erbaut. In dieser befanden sich die Abschussvorrichtungen für die Torpedos, sowohl für den Unterwasserabschuss, als auch für Überwasser.
Hauptaufgabe der TVA war das Testen, einstellen und einschießen der Torpedos, sowie Versuche in der Grundlagenforschung. Diese umfasste Zündung, Steuerapparaturen und Motoren, also Start, Geradeaus- und Tiefenlauf, Zielgenauigkeit sowie Geschwindigkeit. Der Lauf der Torpedos wurde über den gesamten Seeverlauf mittels eines Kabels verfolgt. Dazu verlegte man ein Hauptkabel am Ufer, das in festen Abständen Abzweigungen in den See und dort Sensoren hatte. Gleichzeitig wurden die Torpedos von mehreren Plattformen im See überwacht. Eine dieser Plattformen hatten wir im vergangenen Jahr entdeckt. Die genauen Arbeitsabläufe auf den Plattformen sind zwar nicht bekannt, jedoch ist davon auszugehen, dass sie auch der abschnittsweisen Sperrung des Seegebietes für den Torpedoschuss dienten. Immerhin war der See während des gesamten Krieges für die Öffentlichkeit freigegeben.
Im April 1945 stand in Neubrandenburg, wie überall in Deutschland, das Ende des tausendjährigen Reiches kurz bevor. Die Wehrmacht war schon auf dem Rückzug und ein Kommando stand bereit, die Versuchsanlage zu vernichten, nichts sollte dem Feind in die Hände fallen. Am Abend des 28. April 1945 erfolgte zuerst die Zerstörung der Kommandozentrale. Danach wurde die künstliche Insel sowie einige Bauwerke an Land in Brand gesetzt. Nach dem Krieg übernahmen die russischen Besatzer die Anlage und nutzten die noch übrig gebliebenen Gebäude auf der Landseite. Nach zweimaligem erfolglosen Versuch, die Kommandozentrale zu sprengen und einzuebnen, baute man ein Leuchtfeuer auf die Trümmerinsel und überließ sie der Natur.
(Erstveröffentlichung in „Adlershofer Flossenblätter“ Ausgabe 57/2004)
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