„Concordia 1896“, „TB 1906“ ... So oder ähnlich lauten Namen von Vereinen, die in diesem Jahr in den neuen Bundesländern ein 110- oder 100jähriges Jubiläum feiern werden. Während der Zeit von 1950 bis 1990 trugen diese eher Vornamen wie „Lok...“, „Traktor ...“ oder einfach nur „BSG...“ (Betriebssportgemeinschaft)“. Sie haben sich also heute wieder auf ihre Tradition besonnen, was ja nicht schlecht ist.
Über die „Jungen Wilden“, die so ab 1950 mit Eigenbau-Kreislaufgeräten unter Wasser gingen, ist in dem Film „Die Taucher vom Heinitzsee“ schon ausführlich berichtet worden. Weniger bekannt dürfte sein, dass eben von diesen bereits 1954 in Zusammenarbeit mit dem VEB Schiffsbergung eine Expedition zu den Wracks der Ostsee unternommen wurde, über die bereits damals ein Film entstand. Dabei und meist Spiritus rector, der „treibende Geist“ solcher Unternehmungen, war Jürgen Schmidt.
1954: Transport des Tauchgerödels durch die Straßen von Berlin (Jürgen Schmidt (links)) und die „Tüftler“ vom RFZ (Jürgen Schmidt (Mitte))
Was gab es damals nun zu berichten? Die Aktivitäten dieser „Aktivisten der ersten Stunde“ blieben nicht ohne Folgen. Immer mehr Jugendliche wollten die Abenteuer unter Wasser erleben. So war es nur noch eine Frage der Zeit, dass Jürgen Schmidt in seiner Arbeitsstelle, dem Deutschen Fernsehfunk (DFF) in Berlin-Adlershof, 1956 unter der Schirmherrschaft der Freien Deutschen Jugend (FDJ) einen Zirkel für Unterwasserfilm und –fotografie gründete.
Es begann das große Bauen von aller zum Tauchen und Filmen benötigter Technik. Zu kaufen gab es damals für unsere Sportart noch nichts.
Fritz Reußrath, dem Ausbilder und Leiter einer damals bekannten Berliner Gruppe von Tauchsportlern, konnte 1958 die Truppe um Jürgen Schmidt für eine Expedition zur Erforschung der Höhlenseen der Heimkehle nahe der Ortschaft Uftrungen im Harz gewinnen, um das ganze Unternehmen filmisch zu dokumentieren. Das war mit den damals ausschließlich selbst gebauten Tauch- und Unterwasserfilmausrüstungen schon eine gewaltige Herausforderung. Der entstandene Film „Tauchexpedition in den Höhlenseen der Heimkehle“, liegt uns zum Glück noch vor und es lohnt sich sicher, ihn wieder einmal anzusehen. Heute wären solche Unternehmen mit den Ausrüstungen von damals überhaupt nicht möglich.
Nun wollte man mehr. Vor allem die Tauchtechnik schrie nach Vervollkommnung.
Beim Fernsehen hatte man aber andere Sorgen als die dieser Jugendlichen, welche die Welt unter Wasser erkunden, ja erobern wollten. Es fehlte jedoch an allem: Material und Maschinen. Mehr durch Zufall wurde den Tauchsportverrückten bekannt, dass sich auf dem Gelände des Fernsehfunks das Rundfunk- und Fernsehtechnische Zentralamt (RFZ) befand. Das erschien den Jungen wie der Himmel auf Erden. Sie wurden mit ihren Ideen mit offenen Armen aufgenommen, das Loch in der Gruppenkasse wurde gestopft. Sie erhielten Materialien zum Bau ihrer technischen Geräte und die Genehmigung, nach Dienstschluss einige Werkstätten zu benutzen. Sogar einen schrottreifen Landrover überließ man ihnen, der nach bereits einem halben Jahr wie aus dem Ei gepellt fahrfertig zur Benutzung durch die Truppe da stand.
Nun war kein Halten mehr. Alles wurde konstruiert und gebaut, was gebraucht wurde und es verging kaum ein Monat, an dem nicht ein neuer Ausrüstungsgegenstand zu bewundern war. Zunächst machte Gerhard Steinert mit einem Lungenautomaten, einem einstufigen Zweischlauchregler, 1960 auf der Messe der Meister von Morgen (MMM) in Leipzig Furore, den er ein Jahr später zum Gebrauchsmuster anmeldete. Natürlich wurden auch Foto- und Filmkameras dutzendweise mit wasserdichten Gehäusen umgeben.
Licht wurde gebraucht, also baute Jürgen Schmidt zusammen mit Gerhard Genig eine „Torpille“. Luft musste her, also konstruierten und bauten Helmut Keßner und Gerhard Steinert Kleinkompressoren.
So gelang es, für damalige Verhältnisse Ausrüstungsgegenstände zu schaffen, in denen von den Ideen her vieles vom heutigen Equipment bereits verwirklicht worden war. Freilich nicht in dieser Perfektion, weil dahinter keine hoch-technisierte Industrie sondern „nur“ der Einfallsreichtum und das handwerkliche Geschick einiger weniger „Tauchverrückter“ stand.
Nach jedem Hoch folgt irgendwann einmal ein Tief. Das ist nicht nur beim Wetter so. Mitte der siebziger Jahre zog so ein Tief über die Adlershofer Taucher vom RFZ hinweg. Jürgen Schmidt war mit Aufgaben auf „höherer Ebene“ im Bezirksvorstand betraut worden. Eckart Richter übernahm die Sektionsleitung. Infolge eines beruflichen Wechsels musste er diese Tätigkeit jedoch aufgeben und es fand sich kein so recht geeigneter Nachfolger. So zerbröselten nach und nach die Aktivitäten und immer mehr Mitglieder verließen die Sektion.
Jürgen Schmidt hatte ein Studium als Kameramann erfolgreich absolviert, begann mit seiner Arbeit beim Deutschen Fernsehfunk und sah die so dahindümpelnde Truppe. Kurzerhand ergriff er die Initiative, scharte eine Handvoll der alten Getreuen um sich und wiederbelebte den Adlershofer Tauchsport mit Hilfe einer Sektion Tauchen im Deutschen Fernsehfunk. Aber nicht nur die „Alten“ kamen, sondern immer mehr Jugendliche, von denen noch heute einige, nun schon im gesetzten Alter, zu den Aktivposten in unserem Klub gehören. Und alle wollten nur eins: Tauchen! Inzwischen hatte sich die Lage durch Verordnungen der ängstlichen Obrigkeit massiv verschlechtert und vor jedem Taucheinsatz galt es zahlreiche bürokratische Hindernisse zu überwinden. Denen sagte Jürgen Schmidt nun den Kampf an, jedoch nicht in offener Feldschlacht mit verlustreichen Niederlagen sondern ganz im Stillen, mit List und Tücke, wie es so schön heißt. Und er siegte. Die Folgen: Wir Adlershofer konnten im Land tauchen wann und wo immer wir wollten. Damit stand unseren Wochenendtauchfahrten nichts mehr im Wege. Natürlich waren umweltbedingte Plätze wie zum Beispiel Naturschutzgebiete für uns tabu. Aber wir wollten mehr und so dauerte es nicht lange und die ersten Taucherlager am Tonsee und später dann regelmäßig im Herbst eine Woche am Katjasee fanden breite Zustimmung.
Tauchgang mit selbstgebauter Kamera (links), Geraer Kompresser (Mitte), Kleinkompressor AK 150 mit Benzinmotor (rechts)
Einen neuen „Geraer Kompressor“ bekamen wir von der GST des DFF zur Verfügung gestellt. Der garantierte nun wöchentliches „Non-limit-tauchen“. Das war natürlich etwas für die UW-Fotografen mit ihren professionellen Eigenbau-Gehäusen, die nicht nur Fischen und Pflanzen nachstellten, sondern auch die vielen Elemente einer gründlichen Sporttaucher-Ausbildung im Foto festhielten. Auch der Spaß-Faktor kam nicht zu kurz und bei den Abstiegen mit unserem Taucherhelm war die Freude meist auf der Seite der Begleittaucher beim Blick ins Gesicht des Eingeschlossenen.
Ein Hoch hatte sich wieder über den Adlershofern festgesetzt. Die nächste Etappe war die Organisation und Durchführung der Taucherlager jeweils im Frühjahr an der Ostsee. Das war damals nicht unproblematisch, wollten wir doch wegen des größeren Artenreichtums und vor allem wegen der Seehasen in die westliche Ostsee, also in die Nähe der „Staatsgrenze West“. Ein zum Tauchen freigegebenes Gebiet war das „Wohlenberger Wiek“ mit dem Zeltplatz in Beckerwitz und hier erlebten wir ein kleines Wunder. Bei der Anmeldung in Wismar bei der zuständigen Grenzbehörde fragte man uns, wie wir denn in diesem großen Gebiet unsere Taucher sichern wollten? Habt ihr denn kein Schlauchboot? Haben wir! Ja, und wollt ihr damit paddeln? Bei Wind treibt ihr ja sonst wohin! Na ja, wir haben ein großes Schlauchboot, so für 8 Personen, mit Motor... Na also! Dann nehmt das doch! Fürs Nachttauchen ruft uns bitte an, damit wir nicht immer nachsehen müssen, wer da auf dem Wasser herumleuchtet. Und seht zu, dass ihr bis 24 Uhr wieder aus dem Wasser seid. So einfach war das und wäre ich nicht selbst als Organisator dabei gewesen, geglaubt hätte ich das auch nicht. Fortan kurvten wir jedes Jahr im Mai mit unserem Schlauchboot auf dem Wohlenberger Wiek herum und funzelten des Nachts mit unseren selbstgebauten Lampen, Scheinwerfern und Elektronenblitzen unter Wasser. Kaum vorstellbar in einer Zeit und an einem Ort, an dem schon die Benutzung einer Luftmatratze auf dem Wasser untersagt war.
Aber wie nun unser ganzes Gerödel (u.a. großes Schlauchboot mit Motor, kleines Schlauchboot, großes 24er Mannschaftszelt, Kompressor, 15 Tauchgeräte, Kücheneinrichtung, Duschanlage, Kameras, Starkstromkabel, komplette Campingausrüstungen und, und, und ... zur Ostsee bringen? Logistik nennt man heute so etwas. Da war Jürgen Schmidt wieder in seinem Element. Er organisierte einen LKW mit Anhänger, dazu einen Fahrlehrer und einige Fahrschüler der GST, die ihre Fahrschule eben für eine Woche an die Ostsee verlegten und dort mit uns kampierten. So hatten wir für unsere „kleineren“ Besorgungen auch noch für die ganze Zeit einen LKW mit Fahrer zur Verfügung. Dass alle Teilnehmer dieser Taucherlager, auch der im Herbst am Katjasee, nicht ihren Urlaub nehmen mussten, war auch selbstverständlich. Auf Antrag wurde man von seiner jeweiligen Arbeitsstelle dafür „freigestellt“. Es waren damals eben andere Zeiten.
Die „Wende“ konfrontierte uns dann mit völlig neuen Herausforderungen. Zunächst musste erst mal ein Verein gegründet werden. Dieses ungewohnte Prozedere bekamen wir am 13. Juni 1990 mit 19 Gründungsmitgliedern in den Griff, bis, ja bis die Unterlagen von ca. 900 Ostberliner Vereinen beim Transport vom Magistrat von Ostberlin zum Amtsgericht nach Charlottenburg „verloren“ gingen. Also, das Ganze noch einmal von vorn, und gleich richtig, hieb- und stichfest nach dem ganzen bürokratischem Wust eines „Vereinsgesetzes“. Aber wir waren ja lernfähig und amüsierten uns noch darüber. Der Spaß hörte aber spätestens auf, als der VDST, der mit großer Geste gleich alle Sporttaucher der DDR „übernommen“ hatte, uns allen großzügig das „Bronze“-Brevet anheftete und wir nun die einmalige Chance bekamen, uns die höheren Brevet-Stufen erarbeiten zu dürfen. Als wir dann noch mitbekamen, dass im Landesverband um die Posten der Präsidenten und Vizepräsidenten ein Intrigenkampf wütete, gab es für uns nur eins: Raus aus diesem Sumpf. Im klaren Wasser wollten wir nun tauchen, das nachholen, was uns die letzten Jahrzehnte verwehrt geblieben war.
Die „DIWA“ bot uns Mitgliedschaft und volle Anerkennung unserer bis dato erreichten Qualifikationen. Leider waren es auch Querelen in der Führung, die den Niedergang dieses Verbandes besiegelten. Letztendlich fanden wir unsere „taucherische Heimat“ 1994 beim VEST, dem „Verband Europäischer Sporttaucher“.
Ich hatte mich bereit erklärt, 1990 den Vorsitz des „Tauchsportklub Adlershof“ für zwei Jahre von Jürgen Schmidt zu übernehmen, der wohl ahnte, was da noch so alles auf uns zukommmen würde. Den richtigen Riecher hatten wir, als wir unseren „Taucherkeller“ im DFF, der recht bald abgewickelt wurde, so schnell wie möglich verließen, um als Übergang eine Baracke in Johannisthal als Klubunterkunft zu beziehen. Von hier aus planten und leiteten wir dann die Geschicke unseres Klubs, der sich stetig steigender Mitgliederzahlen erfreute. Die weitere Entwicklung unseres Klubs ist auf unserer Homepage unter „Wir über uns“ nachzuvollziehen.
Jürgen Schmidt übergibt Otmar Richter den Klubschlüssel (1990); Die Tauchsportzeitschrift „poseidon“ titelte Die Unverzagten von Adlershof (1965)
Wie titelte doch 1965 die Tauchsportzeitschrift „poseidon“: Die Unverzagten von Adlershof - und dieser Titel, der uns schon ein wenig mit Stolz erfüllt, hat bis heute seine Berechtigung behalten.
Wann hatte Jürgen Schmidt im Deutschen Fernsehfunk in Berlin-Adlershof den Zirkel für Unterwasserfilm und -fotografie gegründet? 1956! Fast 60 Jahre ist das her. Eine schöne runde Sache, so ein Jubiläum, das da im Jahr 2016 auf uns zukommt. Sicher ein Grund zum feiern!
Text: Otmar Richter
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