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AutorenbildRoger Blum

Der Schiffsfriedhof von Ahrenshoop

Aktualisiert: 13. Jan.

Fischland ist der südwestliche Teil der Halbinsel, die aus den ehemals selbständigen Inseln Fischland, Darß und Zingst zusammengewachsen ist. Der slawische Name Wustrow (Insel) erinnert daran, dass das Fischland früher eine Insel war.


Die heutige Bucht Permin bildete damals einen offenen Zugang zur Ostsee und trennte das Fischland vom Festland. Noch wichtiger war der Darßer Kanal bei Ahrenshoop im Norden der damaligen Insel. Die Piraten unter Klaus Störtebeker sollen diese Durchfahrten genutzt und dort geankert haben. Hier an der Boddenseite liegt auch der sagenumwobene Ribnitzer Störtebekerhafen.



Der schwunghafte und lukrative Handel, den die Fischländer betrieben, war den Hanseaten ein Dorn im Auge. Sie versuchten mit allen Mitteln das Aufblühen eines Hafens auf der Insel zu verhindern und holten um das Jahr 1395 zum entscheidenden Schlag aus. Die Stralsunder zerstörten den Ribnitzer Störtebekerhafen und versenkten in der Permindurchfahrt drei Schiffe, um die Versandung zu beschleunigen. Etwa zeitgleich wurde der Klipphafen von Ahrenshoop von den Rostockern zerstört. Die ehemalige Permindurchfahrt und das Loop bei Ahrenshoop wurden nach den Sturmfluten von 1872 und 1875 künstlich geschlossen.


Mich interessierte natürlich die Geschichte von den versunkenen Schiffen. Bereits im vergangenen Jahr entdeckte ich mit ein paar Freunden vor Ahrenshoop das bereits weit eingesandte Wrack eines historischen Holzsegelschiffs. Ich stellte mir die Frage, ob es wohl zu jenen Schiffen gehört, die zur Zerstörung des Piratenhafens diente. Genauere Hinweise auf die Bauweise des Schiffs könnten bei der Identifizierung des Wracks helfen.



Der erste Versuch zur Identifizierung des Wracks blieb erfolglos. Nach meiner Erinnerung musste ich nur etwa 100 bis 150 Meter in westliche Richtung hinausschwimmen um die Stelle zu erreichen, an der wir im vorherigen Jahr auf die Überreste des Schiffes gestoßen sind. Trotz sorgfältigster Suche konnte ich im April das Wrack nicht finden und befürchtete bereits, dass es durch die Kraft der Frühjahrs- und Herbststürme zerstört oder gänzlich unter dem Sand vergraben wurde.


Am 24. September 2006 starteten wir einen erneuten Versuch. Soweit wir die Situation überblicken konnten, waren die Bedingungen für unsere Wracksuche sehr gut: spiegelglatte See bei strahlendblauem Himmel und Sonnenschein. Wir schwammen zunächst über eine Landschaft aus winzigen, kaum handbreiten Sandrippen, die parallel zum Ufer verlaufen. Die Landschaft wirkt hier gleichförmig und fast ein wenig langweilig. Kein Fisch und keine Pflanze weit und breit, nur ein paar Quallen kreuzten unseren Weg. Glücklicherweise waren es nur harmlose Ohrenquallen und keine Feuerquallen. Erst am Vortag hatte ich während eines Tauchganges in Wustrow die schmerzhafte Nesselwirkung ihrer bis zu zwei Meter langen Tentakeln erfahren müssen. Erstmals in der Ostsee begegnete ich hier vor Ahrenshoop der völlig glasigen Seestachelbeere. Dies ist eine kleine Rippenqualle mit einem höchstens drei Zentimeter großen kugelförmigen Körper. Die Seestachelbeere schleppt nur zwei Fangfäden hinter sich her. Diese kleine Qualle hat in allen Regenbogenfarben schillernde Kanten. Der Lichteffekt wird von den winzigen vibrierenden Ruderblättchen auf den Rippen des Tieres hervorgerufen und ist beinahe unfotografierbar.



Plötzlich tauchte vor uns das Holzgerippe des Schiffes auf. Das Wrack war gefunden. Es liegt in nur 3 bis 4 Meter Wassertiefe und in Ost-Westrichtung zum ca. 100 Meter entfernten Ufer. Der Seegrund am Wrack besteht aus feinkörnigem Sand und kleinen bis mittelgroßen Steinen. Der von Miesmuscheln überzogene hölzerne Schiffskörper wird von unzähligen Schwimmgrundeln, Krabben, Ostsee- und Opossumgarnelen sowie von einigen Seeskorpionen und Butterfischen bewohnt. Allerdings deuten nur noch einige aus dem Meeresboden ragende Spanten den Umriss des Schiffskörpers an. Anhand der fast lückenlos vorhandenen Spanten ist der komplette Umriss des Schiffes zu erahnen. Die Teile des Wracks lassen deutlich eine nahezu rechteckige Form mit leichter Rundung zu den Schiffsenden erkennen. Nach der festgestellten Schiffsform war das Wrack ein Lastensegler. Die freiliegenden Wrackteile lassen sich in Spanten und Planken unterscheiden. Im Inneren liegen Mastreste oder Rahen, achtern ist das mit Kupferbeschlägen zusammengehaltene Steuerruder zu erkennen.


Als problematisch erweist sich bei der Zuordnung von Wrackfunden das Fehlen der Takelage, die ein wichtiges Indiz bei der Typenbestimmung bildet. Zur Auswertung des Fundes ist deshalb das Heranziehen von zeitgenössischen Schiffsdarstellungen und Schriftquellen nötig. Neben Beschreibungen zu den Konstruktionsdarstellungen bieten die Verklarungsakten in den Archiven der Seestädte eine wichtige Quelle zur Identifizierung von Wrackfunden.


Unter einer dicken Muschelschicht entdeckte ich dann den entscheidenden Hinweis – eine kleine Kunststoffmarke. Wir waren also nicht die ersten an dem Wrack. Die an alle Holzteile genagelten Kunststoffmarken zeigen, dass die Teile des Schiffes bereits von Unterwasserarchäologen vermessen und fotografiert wurden. Ich musste nun nur noch in der einschlägigen Fachliteratur suchen.


In einem Aufsatz von Thomas Förster (NAU 9/2002, S. 105 ff.) wurde ich fündig. Er beschreibt den Fund eines vor Ahrenshoop gestrandeten Plattbodenschiffs: Bei dem auf 1810 dendrodatierten Wrackfund handelt es sich seiner Meinung nach um eine in der niederländischen Schiffbautradition gefertigte Schmack, wahrscheinlich die Rostocker Schmack „DIE GUTEN FREUNDE“, die 1844 durch Strandung verloren ging.


Auf Anfrage beim zuständigen Landesamt für Kultur und Denkmalpflege wurde mir dann mitgeteilt, dass das Wrack kurz nach Veröffentlichung des Aufsatzes eingehender untersucht wurde. Die Untersuchungen unter Leitung des Schiffsarchäologen Jens Auer zeigten dann, dass es sich bei dem Wrack sicherlich nicht um die Schmack „Die guten Freunde“ handelt. Schmacken sind wesentlich kleiner. Das Schiff vor Ahrenshoop ist immerhin 27,25 m lang und 7 m breit. Es handelt sich bei dem Schiff um ein Tiefwasserfrachtsegler aus der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Dimensionen des Rumpfes legen nahe, dass es sich um eine englische Brigg handelt.


Auch wenn wir kein Wrack aus der Störtebeker-Zeit gefunden haben, so lebt doch der Mythos Störtebeker weiter, zumindest wenn wir nach unseren gemeinsamen Tauchgängen in einer gemütlichen Kneipe das gleichnamige Stralsunder Bier trinken und die nächsten Projekte planen.


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